27. Jan 2023

RAW oder JPG in der Naturfotografie

Erfahrungsbericht, Fototechnik

Diesen Artikel habe ich bereits in meinem Podcast zusammen mit Jan Wegener angekündigt und hier ist er, wenn auch knapp ein Jahr zu spät. Ich bin mir sicher, heute bekomme ich viel negatives Feedback von euch, viele die die Hände über dem Kopf zusammenschlagen werden, aber vielleicht bin ich inzwischen lange genug in der Naturfotografie unterwegs, um über diese Frage zu sprechen.

Eigentlich fotografiere ich mein Leben lang RAW + JPG gleichzeitig, warum ich das mache, hat eine Vielzahl an Gründen, es begann damit, dass ich die RAWs Anfang 2000 nicht einmal öffnen konnte oder wollte. Später nutze ich die JPGs für die Windowsvorschau, irgendwann hatte ich Angst die Kamera auf JPG umzustellen auf Events, damit ich es nicht vergesse wieder zurück auf RAW zu stellen und heute kann ich sagen ja, ich fotografiere seit über 20 Jahren RAW und JPG gleichzeitig und nutze auch beide Formate. Mir ist bewusst, das ist erschreckend.

Die verrückteste Geschichte dabei ist eigentlich, dass sowohl meine GDT (Gesellschaft für Naturfotografie) Bewerbung zum Vollmitglied als auch meine ersten Wettbewerbserfolge beim Europäischen Naturfotograf des Jahres reine JPGs mit minimaler Kontrastanpassung waren. Heute kaum vorzustellen, oder?

Egal in welches Buch Ihr schaut, selbst in meinen eigenen steht immer, du sollst nur RAW fotografieren, als sei es eines der zehn Fotografengebote und was soll ich sagen? Ich fotografiere heute cRAW (compressed RAW) und JPG. #noRAW

 

Warum RAW?

Ein JPG kann 8 Bit je Farbkanal darstellen und ein RAW 12/14/16 Bit je Farbkanal, abhängig von Kamera und Marke. (Eigentlich auch abhängig von dem Gewählten Verschluss, der Serienbildrate und der Kompression, anhängig von Kameramarke und Modell. Hier hilft nur tief ins Datenblatt oder Handbuch schauen.) Was im ersten Moment nach nicht viel klingt, ist der Unterschied zwischen 256 und 4096 Helligkeitsabstufungen je Farbkanal und entsprechen der Unterschied zwischen 16,7Mio oder 68,7Mrd möglichen Farbabstufungen in einem Foto und das ist gewaltig. Unter dem Strich ist es ganz einfach, mit dem RAW hat man mehr Informationen und kann entsprechend hinterher das Bild besser bearbeiten, gerade wenn es darum geht die Tiefen anzuheben oder auch die Farben (Weißabgleich) zu verändern. Natürlich geht das auch im JPG, aber dann kommt man schnell in einen Bereich, in dem man mit Tonwertabrissen und anderen unschönen Effekten zu kämpfen hat.

 

Warum ich compressed RAW an der Canon EOS R5, R6 II und R3 fotografieren würde?

Ganz einfach, es reicht mir und meinen Kunden aus.

Eigentlich ist das schon der erste Grund mir nie wieder zuzuhören oder hier mitzulesen ist, denn der Rado fotografiert nur cRAW, das ist wie ein Porsche auf viel zu schmalen Reifen, der mit Super E10 getankt ist. Zumindest steht es so im Internet.

Für mich persönlich habe ich es getestet, ich sehe den Unterschied zwischen cRAW und RAW, aber erst wenn ich das Bild um 2-3 Blendenstufen aufhellen muss. Und ganz offen gesprochen, wenn ich das tun muss, ist das Bild aus meiner Sicht ohnehin für den Papierkorb.

Vielleicht komme ich aus einer alten Zeit der Fotografie, aber ich benutze den Belichtungsregler nicht, meine Bilder kommen so aus der Kamera, wie ich diese haben will, natürlich korrigiere ich mal die Belichtung um 0,05 Blenden oder auch mal um 0,2 Blendenstufen, aber mehr auch nicht. Meine Bilder belichte ich in der Kamera korrekt bzw. besser gesagt ich belichte meine Bilder in der Kamera so, wie ich sie gerne hinterher haben will und setze auch den Weißabgleich entsprechend. Sprich ich habe eine Bildidee und setze diese während des Fotografierens um.

 

RAW vs. JPG?

Die Frage ist aber nun, benutze ich das JPG wirklich und warum?

Ja, es fing bei mir so an, dass ich die Familienfotos seit langem per WLAN von der Kamera direkt aufs IPhone übertrage. Hier nutze ich Lightroom mobile und bearbeite die Bilder sofort auf dem IPhone oder IPad. Das heißt leichte Kontrastanpassungen, minimale Farbanpassungen, Vignette etc. Die Bilder stehen sofort in der Adobe Cloud und das schöne, meine ganze Familie hat vollen Zugriff auf die Cloud. Das heißt jeder in der Familie kann die Bilder nutzen und ich muss mich um nichts mehr kümmern. Zudem ist es nicht die schlechte WhatsApp Qualität, mit der sich meine Familie rumschlagen muss. Oft bearbeite ich die Bilder direkt auf dem Beifahrersitz während einer Heimfahrt von einem Ausflug und in der Spitze habe ich es geschafft, bei einer Hochzeit, die ich leider nicht ablehnen konnte, die ersten Bilder zu liefern zwischen der Trauung und dem Eintreffen des Brautpaares an der nächsten Location. So kommt es, dass ich inzwischen lieber Beifahrer als Fahrer bin. Der ganze JPG-Workflow ist dort, wo die Druckgrößen nicht zu groß sind oder es um Social Media geht wesentlich einfacher mit JPGs.

Bis dato fand eine strikte Trennung zwischen meiner professionellen Naturfotografie und dem privaten Bereich mit Menschen auf den Bildern statt. Diese Trennung fällt mir sehr schwer, da ich derart perfektionistisch bin, dass ich gerade bei Erinnerungsfotos auch oft 100% Schärfe will, obwohl ein solches Bild vielleicht in 10x15cm in einem Fotobuch landet.  Im Frühjahr letzten Jahres war das Wetter an einem Workshopmorgen plötzlich so schlecht, dass wir nicht mehr spontan umdisponieren konnten. Das Einzige was ich in dem Moment als Alternative anbieten konnte war, dass ich live im Auto zeigte, wie ich meine Bilder überspiele und bearbeite, direkt am Smartphone in Lightroom mobile. Dieses Experiment aus der Verzweiflung zeigte mir wieder einmal, dass es überhaupt nicht schlimm ist das JPG zu verwenden. Ja, wir alle haben unsere natürliche Barriere gegen JPGs, aber die JPGs heute sind viel, viel besser, als das wogegen wir vor 20 Jahren unsere Barriere aufgebaut haben. Ganz konkret ist es ein immenser Aufwand ein HighIso RAW so rauschfrei zu bekommen, wie ein JPG direkt aus der Kamera. Ich empfinde auch die Grundlegende JPG-Schärfe und die Farben von Canon im JPG auf Anhieb gut passend (Profil Standard). Und wer in den hellen Bereichen mehr Zeichnung braucht, der kann die Tonwertpriorität im JPG aktivieren, ich nutze diese super Gerne. Hierbei wird aus verschiedenen ISO Stufen Zeichnung in die Hellen Bereiche eingerechnet, also eine Art HDR, das jedoch als solches nicht zu erkennen ist.

Nun will ich euch einfach einmal den Unterschied zeigen, ich nehme 3 Bilder, die ich fotografiert habe, ihr seht 3-mal das unbearbeitete JPG, 3-mal das bearbeitete JPG auf dem Handy und 3 mal das bearbeitete RAW. (jeweils verkleinert)

Es war für mich nur ein Experiment und ja, wenn ich Bilder für große Drucke veredle, werde ich das RAW nehmen, aber tatsächlich gibt es die erste Werbekampagne, die ich fotografiert habe, bei der ausschließlich die JPGs verwendet wurden und ich sehe im Printmedium den Unterschied nicht zum RAW.

Unter dem Strich würde ich es wie folgt zusammenfassen, bei Bildern, an denen ich ohnehin kaum etwas bearbeite, gerade Tierfotos, Pflanzenfotos und Makros, kann ich eigentlich mit dem JPG leben. (Das Umfasst eigentlich auch alle meine Familienfotos und Streetfotos) Bei Fotos die stellenweise mehr Bearbeitung brauchen, gerade Landschaftsaufnehmen, da nutze ich weiterhin das RAW.

Für mich persönlich war es ein interessanter Versuch, der meinen eigenen Horizont erweitert hat. Viel Spaß damit!

 

P.S. 1: des Weiteren will sich nicht jeder Nutzer mit den Datenmengen der RAWs rumschlagen, oder hat Lust immer am Rechner Bilder zu bearbeiten oder hat insgesamt keine Lust Bildbearbeitung zu erlernen. Ich bin der Meinung im Jahr 2023 sollte niemand RAWs fotografieren müssen, der dafür keinen Grund kennt, denn es ist wirklich viel mit JPGs möglich.

 

P.S. 2: zwischen der Bearbeitung Handy und Bearbeitung PC liegen knapp 7 Monate Zeitdifferenz. Ich habe erschrocken festgestellt, dass mir das Bienenragwurz in der Bearbeitung vom Handy besser gefällt als das bearbeitete RAW. (Ich habe die RAWs blind bearbeitet, so wie sie mir gefallen würden.)

 

Die Reihenfolge der Bilder ist immer wie folgt, unbearbeitetes JPG OOC (nur verkleinert), bearbeitetes JPG auf IPhone (verkleinert), bearbeitetes RAW (verkleinert).

 

Schachbrettfalter auf Pyramidenragwurz; Canon EOS R5 + Canon EF 300mm 2.8 L IS II

 

Bienenragwurz in einem kleinen Wald; Canon EOS R5 + Canon EF 135mm 2.0 L

 

Zweiblättrige Waldhyazinthe im Abendlicht; Canon EOS R5 + Canon EF 200mm 2.0 L IS

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