19. Jan 2022

Canon RF 35mm 1.8 IS und Canon RF 85 2.0 IS kein echtes Makro? Mein Test … 

Fototechnik, Objektivtest

Das Canon RF 35mm 1.8 ist mein Objektiv für Spaziergänge. 

Die Brennweiten 35 und 85mm:
35mm und 85mm sind beides keine klassischen Festbrennweiten in der Naturfotografie. Es gibt eigentlich keinen Landschaftsfotografen und auch keinen Makrofotografen, der schon immer mit 35mm und 85mm gearbeitet hat. Die beiden Brennweiten sind klassischerweise in der Portrait; Menschen; und Reportage Fotografie zu Hause. Canon adressiert diese Objektive nun mit dem Zusatz Makro an die Naturfotografen unter uns. Doch sind es echte Makroobjektive? Die Antwort ist ganz klar nein, zumindest, wenn Ihr mich fragt. Fragt ihr Wikipedia, so bekommt ihr folgende Antwort: „Als Makro-Objektiv bezeichnet man ein spezielles Wechselobjektiv, das es ermöglicht, einen großen Abbildungsmaßstab zu erzielen – wie beispielsweise 1:2 oder 1:1.“ Um es offen zu sagen, Makroobjektive mit einem maximalen ABM von 1:2 wurden schon immer belächelt, man denke zurück an das Cosina 100mm 3.5 oder das Zeiss Planar 100mm 2.0. Für mich, ganz persönlich, muss ein Makroobjektiv einen maximalen Abbildungsmaßstab von 1:1 oder größer erreichen ohne Hilfsmittel. Die beiden Canon RF 35mm 1.8 und RF 85mm IS 2.0 Objektive erreichen einen maximalen Abbildungsmaßstab von 1:2. Das bedeutet, ein Zentimeter in der Realität entspricht einem halben Zentimeter auf dem Sensor.

Da ich nun großartig erklärt habe, was die beiden Canon RF Objektive für mich NICHT sind, was sind denn das Canon RF 35mm 1.8 IS und 85mm 2.0 IS überhaupt? Meine ganz persönliche Definition ist: die beiden Canon RF Objektive sind klassische Portraitobjektive mit einer sehr guten Naheinstellgrenze und einem maximalen Abbildungsmaßstab von 1:2. Dies erleichtert den klassischen Peoplefotografen das Leben, da nun Bilder wie z.B. ein Close Up des Auges oder Fotos der Eheringe in einer Hochzeitsreportage erleichtert werden. Ich spreche über beide Objektive gleichzeitig, da es aus meiner Sicht ein Pärchen ist, das man oft im Doppelpack kaufen und verwenden wird.

Canon hat aus meiner Sicht mit dem Marketingbegriff Makro übers Ziel hinausgeschossen, denn nun müssen sich diese Objektive mit anderen Makroobjektiven messen, anstatt mit anderen 35ern und 85ern.

Küchenschelle mit Canon RF 85mm 2.0

 

Warum landen die beiden Objektive in meinem Fotorucksack:

Genug über Begrifflichkeiten diskutiert, warum habe ich mir die beiden Objektive überhaupt gekauft?

#Transparenz: beide Objektive sind in meinem Besitz und mein Eigentum, ich habe diese ganz normal bei meinem Händler AC-Foto gekauft und bezahlt.

Was verspreche ich mir also von diesen Objektiven, ich habe mir die beiden Objektive genau aus dem oben genannten Grund gekauft, für mich sind es Objektive, die ich für Portraits, für Familienspaziergänge und auch Natur einsetze. Wichtig ist dabei, das „und auch“, denn wenn ich wirklich ein Makro haben wollen würde, so würde ich ganz klar ein Canon RF 100mm 2.8 L IS Makro oder ein Canon EF 100mm 2.8 L IS Makro kaufen. Es sind also Allroundfestbrennweiten.

Das Canon RF 35mm lässt sich auch für Landschaftsfotografie einsetzen.

Größe, Gewicht, Verarbeitung und Lieferumfang:

Das Canon RF 35mm 1.8 IS kommt mit 298g; einer Länge von 6.3cm und einer UVP von 549 EUR daher. Das Canon RF 85mm 2.0 IS USM ist 9cm lang, wiegt 500g und kostet 699 EUR. Damit zählen beide zu den günstigeren Canon RF Objektiven. Vom persönlichen Empfinden muss ich sagen, das 35er ist klein und kompakt, das 85er ist viel größer und schwerer, irgendwie habe ich es kleiner erwartet bei meiner Vorbestellung. Die Verarbeitung ist gut, sie ist sauber und funktional. Sie ist aber nicht überragend, es ist ein solide gebautes Objektiv aus Kunststoff, aber eben kein L-Objektiv. Wo wir von Kunststoff sprechen, die Kunststoffstreulichtblende ist nicht im Lieferumfang enthalten. (Kleiner Hinweis, die JJC Streulichtblende für das RF 35mm ist aus meiner Sicht ein absoluter Flop, zwar super verarbeitet, vom Gewicht jedoch gefühlt, fast so schwer wie das ganze Objektiv.) Ich habe mir für beide Objektive inzwischen die Streulichtblenden gekauft, benutze diese jedoch nicht. Da die Objektive dann nicht mehr so klein sind. Im Alltag nutze ich meine Hand als Streulichtblende, sofern dies erforderlich ist.

Gerade bei Spaziergängen kann man mit 35mm spannende Details fotografieren.

AF/MF und Praxis:
In den Internetforen gibt es viele die den AF der beiden Objektive als laut bezeichnen. Aber wie laut ist laut? Wie ein Staubsaugerroboter? So laut sind die beiden Objektive nicht. Der AF ist hörbar, mehr aber auch nicht. Mich persönlich stört es in der Praxis überhaupt nicht. Meiner Meinung nach ist das leise Schnurren eines Kühlschranks wesentlich störender.

Beim Fokussieren bewegt sich das Frontelement der Objektive. Dies war eine bewusste Entscheidung der Ingenieure in Japan. Um einen großen Abbildungsmaßstab zu erreichen, muss der Auszug vergrößert werden. Hierzu gibt es ganz einfach gesagt zwei Möglichkeiten, entweder das Objektiv wird so konstruiert, dass es ausfährt oder das Objektiv wird länger gebaut und die Auszugsverlängerung findet sozusagen im Objektiv statt. Option Nummer drei wäre, dass man einfach keinen so großen Abbildungsmaßstab ermöglicht. Ich unterstelle also den Ingenieuren eine bewusste Entscheidung, dass das Objektiv ausfährt beim Fokussieren. Damit kann ich persönlich gut leben, es stellt mich aber vor Herausforderungen in der Praxis, konkret: wenn ich den Auszug nicht ermöglichen kann, also meine Hand an das Frontelement behindert oder die Kamera auf der Front des Objektives abstelle und die Kamera entscheidet fokussieren zu wollen, dann stürzt das System ab. Also der Sucher wird schwarz und die Kamera fokussiert panisch nach vorne und hinten bis alles wieder funktioniert. Das finde ich persönlich supernervig, zumindest, wenn ich gerade eine Situation einfangen möchte, meinen Finger zu stark auf die Front drücke und die Kamera deshalb nicht fokussieren kann. Natürlich ist das meine eigene Fehlbedienung, trotzdem nervt es mich.

Der AF ist grundsätzlich flott unterwegs und treffsicher. Personen die auf mich zu rennen oder ein schwimmender Vogel sind überhaupt kein Problem. Hier empfinde ich das Canon RF 85mm 2.0 IS dem 35mm überlegen. Konkret ist das 85er sehr treffsicher. Das 35er ist meiner Meinung nach eine Zicke. Gerade bei Offenblende 1.8 ist es oft nicht 100% genau, sodass ich inzwischen immer mit Serienbildern und nachführendem AF und Serienbildern arbeite, so kann ich mir das 100% perfekte Bild raussuchen. Zum Vergleich, kein Canon RF L Objektiv hat diese Probleme.

Der MF wird bei allen Canon RF Objektiven per Fokus by Wire gesteuert. Das bedeutet durch das Drehen des Fokussierringes bewegt der AF Motor den Fokus. Beim Canon RF 35mm 1,8 IS funktioniert das sehr gut, wenn auch synthetisch. Betrachten wir uns das Canon RF 85mm 2.0 IS, so ist der MF ein richtiger Flop. Um von Unendlich in den Nahbereich zu kommen, brauche ich über 10sek drehen am MF Ring. In der Praxis ist das mega ärgerlich, stellt euch folgende Situation vor: Ihr habt abends 3min gutes Licht, jetzt haut euch der AF vom Nahbereich in den Hintergrund ab und ihr dreht verzweifelt 10sek an dem Fokusring, um euer Bild machen zu können? Mich bringt das 85er regelmäßig zum Verzweifeln.

 

Eine Stockente aufgenommen mit 85mm bei Offenblende 2.0

 

Bildstabilisierung IS:

Kommen wir zum Bildstabilisator, der arbeitet bei beiden Objektiven super sauber und ermöglicht sehr viele Freihandaufnahmen die sonst nicht möglich wären. An der Canon EOS R3 habe ich eine scharfe Aufnahme mit 85mm und 3,2sek freihand geschafft. (Natürlich ist dann nicht jedes Bild in Folge scharf.)

35mm bei Blende 1,8

Schärfe und Details:
Was die Schärfe angeht, so ist die Frage, mit was man diese Objektive Vergleichen möchte. Neben einem Canon RF 85mm 1.2 sind beide so lala, ok halt und neben einem Canon RF 50mm 1.8 sind beide richtig gut. (Ich betrachte alles an dem Sensor meiner Canon EOS R5)

Die Schärfe des 35ers ist ok, bei Offenblende fällt sie in Richtung Rand etwas ab. Das Abblenden auf 2.2 oder 2.8 bringt einen ordentlichen Sprung in der Schärfe. Insgesamt würde ich die Schärfeleistung bei Offenblende mit ok bis gut bezeichnen und abgeblendet als gut. Die Schärfe des 85ers ist besser, bereits bei Offenblende gut und abgeblendet noch besser. Im Nahbereich verlieren beide Objektive ein wenig Schärfe, abblenden auf 2.8 steigert die Qualität merklich.

Ich persönlich nutze diese Objektive meist bei Offenblende, denn ich habe die Objektive wegen Freistellung und Bokeh im Einsatz und nicht wegen der maximalen Schärfe.

Ein Portrait mit 85mm und Blende 2.0

 

Chromatische Aberrationen und Vignettierung:

Was die chromatischen Aberrationen angeht ist das Canon RF 35mm 1,8 sehr anfällig, diese sind bei Offenblende teils so stark, dass Sie sich nicht per Bildbearbeitung sauber entfernen lassen. Die Vignettierung ist bei 1.8 stark ausgeprägt, passt aber sehr gut zum Charakter des Objektives.

Beim Canon RF 85mm 2,0 IS sind die chromatischen Aberrationen deutlich besser korrigiert. Die Vignettierung fällt geringer aus als beim 35er.

Rein objektiv ist das Canon RF 85mm das optisch bessere Objektiv.

 

Streulicht und Gegenlicht:

Jeder meiner Leser weiß, ich liebe Gegenlicht. Hier sind beide Objektive ok, sie neigen zu Lensflares, die nicht wirklich schön sind und verlieren Kontrast im Gegenlicht. Hier muss man beim Shooting ggf. leicht den Winkel beim Fotografieren verändern und mit der Hand am Objektiv etwas abschatten, um saubere Resultate erzielen zu können.

Bokeh und Unschärfekreise beim 85er erzeugen spannende Bilder.

 

Bild Look und Praxis:

Kommen wir zum Bild Look insgesamt, ich mag den Bild Look vom 35er sehr gerne. Die Vignettierung bei 1.8 ist sehr charaktervoll, ich korrigiere diese nie. Gleichzeitig ist die Freistellung gut und die Schärfe für das meiste ausreichend. Natürlich gebe ich zu, noch mehr Schärfe bei Offenblende würde ich nehmen.

Das 85er empfinde ich als wesentlich synthetischer, eigentlich zu synthetisch. Objektiv betrachtet ist es besser als das 35er. Die Schärfe ist wirklich gut, die Vignettierung ist mir persönlich zu wenig ausgeprägt, hier füge ich eher noch stärkere Vignettierungen am Ende hinzu.

Das 35er benutze ich in der Praxis wirklich gerne und viel, es macht trotz seiner Schwächen einen tollen Job. Das 85er fristet bei mir ein Schattendasein, vor allem neben dem RF 100mm Makro und dem RF 85mm 1.2, kommt das 85mm 2.0 nur dann zum Einsatz, wenn ich ein kompaktes Portraitobjektiv mitnehmen will.

Ein interessanter Bild Look bei 35mm im Nahbereich.

 

Fazit:

Vom Preis/Leistungsverhältnis stimmt bei diesen Objektiven eigentlich alles. Es gibt eine gute Verarbeitung, eine ordentliche optische Leistung und einen guten Bild Look für einen mittleren Preis. Ich behaupte, mit diesen beiden Objektiven kann man richtig geile Bilder machen und es gibt viele Fotografen, gerade mit Hang zur Menschenfotografie, die mit den Linsen perfekt bedient sind.

Als Naturfotograf finde ich das 35er geil, da ich viel Habitat einbinden kann und interessante Bilder im Nahbereich bekomme. Das 85er empfinde ich als Naturfotograf nicht wirklich als Bereicherung, da ich ja ein 100er Makro habe. Für die Naturfotografie würde ich also das 35er dann kaufen, wenn ich Habitat in den Bildern gerne im Bild zeigen möchte. Das 85er würde ich einem reinen Naturfotografen nicht empfehlen, sondern immer ein 100er Makro ans Herz legen.

Wer also mehr Fotografieren will als nur Natur, bekommt hier geile Allrounder und wer nur Natur macht, für den sind die Objektive eben nicht das perfekte Werkzeug.

Insgesamt finde ich den Job von Canon super, denn diese Objektive sind sehr vielseitige Festbrennweiten zu bezahlbaren Preisen und ermöglichen gerade dadurch ein breites Feld an Bildern.

 

 

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